Die Ergebnisse der aktuellen bvik-Studie „B2B-Marketing-Budgets 2020″ sind ernüchternd: Die Marketing-Budgets deutscher B2B-Unternehmen sinken bereits das dritte Jahr in Folge. Und die Auswirkungen der Corona-Pandemie sind in diese Umfrage noch gar nicht eingeflossen. Diese Situation fordert ein Umdenken im deutschen Mittelstand – Marketing muss im B2B künftig anders ablaufen als bisher.
Dr. Carsten Baumgarth, Professor für Marketing und Markenführung an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin), begleitet diese Studien seit vielen Jahren wissenschaftlich. Im Visable-Interview verrät er, wie er die sinkenden Marketingbudgets einordnet, ob Messen wieder die Bedeutung von Vorkrisenzeiten erlangen werden und mit welchen Themen sich die Marketingabteilungen in Zukunft auseinandersetzen sollten.
Herr Baumgarth, Henry Ford sagte einst: Wer aufhört zu werben, um Geld zu sparen, kann ebenso seine Uhr anhalten, um Zeit zu sparen. Hat er recht?
Grundsätzlich hat er natürlich recht. An der Kommunikation zu sparen, ist nie sinnvoll. Wenn Unternehmen allerdings ums Überleben kämpfen, müssen sie entscheiden, welche Budgets nicht systemrelevant sind. Und da trifft es Marketingbudgets dann eher als beispielsweise Personalbudgets.
Marketing-Experten betonen oft, dass das Marketing gerade in Krisenzeiten angekurbelt werden sollte. Richtig aus Ihrer Sicht?
Da gilt es zu unterscheiden, wie stark das Unternehmen in der Krise steckt. Kurz vor der Insolvenz stehend oder nach Massenentlassungen wird verständlicherweise auch das Marketing heruntergefahren. Andere Unternehmen sind aber trotz einer Krise wie aktuell weiter kerngesund und haben lediglich mit Umsatzeinbußen zu kämpfen. Sind also weiterhin finanzielle Polster vorhanden, sollte das Marketing und die Kommunikation unbedingt intensiviert werden, da aufgrund der mutmaßlichen Budgetreduktion bei einem Großteil der Konkurrenten jeder selbst eingesetzte Euro viel stärker wirkt. In Krisenzeiten werden die Marktanteile aufgebaut, die nach der Krise dann oft konstant bleiben.
Ist im kommenden Jahr eine Trendwende bei den B2B-Marketing-Budgets zu erwarten, wenn die Corona-Pandemie vorbei sein sollte?
Genau wie die Krise nicht sofort für einen Zusammenbruch der Wirtschaft gesorgt hat, wird auch die Phase der Erholung länger andauern. Und auch dann bezweifle ich, dass es einfach nur eine quantitative Erhöhung der Budgets geben wird. Die Unternehmen werden sich genau überlegen, wofür sie ihr Geld in kommunikativer Hinsicht ausgeben wollen. Es findet also eine qualitative Neuorientierung statt.
Die Unternehmen werden sich genau überlegen, wofür sie ihr Geld in kommunikativer Hinsicht ausgeben wollen. Es findet also eine qualitative Neuorientierung statt.
Werden vergleichsweise kostspielige Messen wieder die Bedeutung erlangen wie vor der Pandemie? Oder verschiebt sich vieles in Richtung Digitalmarketing?
Seit vielen Jahren investieren B2B-Unternehmen ein Drittel bis zur Hälfte des gesamten Marketingbudgets in Messen – und es würde mich wundern, wenn das nach der Krise wesentlich weniger wird. Die hohe Zahl liegt jedoch auch darin begründet, dass es immer mehr Messen gibt und vor allem immer mehr regionale und hoch spezialisierte Veranstaltungen. Diese werden auch weiter ihr Publikum bekommen. Leiden werden eher die großen Messen, die die Industrielandschaft eines ganzen Landes oder sogar der Welt präsentieren. Ich bin mir aber recht sicher, dass wir nach der Pandemie wieder traditionelle Messen besuchen, denn: Wie sich gezeigt hat, können die digitalen Varianten die Kontaktbestrebungen und das Verhandlungsgebaren der Menschen nicht eins zu eins ersetzen. Die Veranstaltungen werden jedoch einen stärkeren digitalen Touch bekommen. Das Weiterbildungsgeschehen wie Kongresse oder Keynotes könnte beispielsweise digital ausgelagert werden.
Trotz aller Budget-Restriktionen müssen Marketing-Verantwortliche ihren Job machen. In diesem Zusammenhang sprechen Sie von drei Zukunftsthemen im Marketing: Digital Marketing Leadership, Purpose-Orientierung und Neue Markenführung. Können Sie die Bedeutungen erläutern?
Digital Marketing Leadership bezieht sich auf Marketingabteilungen in Unternehmen, die digital führend sind, also beispielsweise innovative digitale Lösungen einsetzen oder Datenexperten beschäftigen. Studien legen nahe, dass sich ein solches Leadership zweifach auszahlt: Zum einen nehmen diese Abteilungen mit digitalem Know-how intern eine bessere Stellung im eigenen Gesamtunternehmen ein, zum anderen tragen sie in höherem Maße zum Unternehmenserfolg bei.
Unter dem Überbegriff Purpose verstehe ich die Notwendigkeit von B2B-Unternehmen, sich mit dem Sinn ihres Handelns zu beschäftigen. Im Vergleich zum B2C-Bereich geht das bisher noch sehr zurückhaltend vonstatten. Wer hier nicht abwartet, sondern aktiv vorangeht, wird einen Vorteil erlangen. Dabei geht es nicht ums Energiesparen oder das Anschieben eines Hilfsprojektes, sondern die Frage, ob Unternehmen mit ihren Produkten und Dienstleistungen tatsächlich einen positiven Einfluss auf die Welt nehmen können.
Und nicht zuletzt sollten sich B2B-Unternehmen auf eine neue, flexible Markenführung einlassen. Nicht mehr so streng wie bisher, wo die Corporate Identity bis ins letzte Detail eingehalten werden musste. Denn wir haben es heute mit ganz anderen Umwelten zu tun. Stichwort Co-Creation: Eine Marke wird heute nicht mehr vom Unternehmen alleine entwickelt, sondern von allen Stakeholdern zusammen. Als Markenverantwortlicher muss ich also lernen, viel offener zu sein und den Einfluss der Community mit einfließen zu lassen. Darüber hinaus wird Markenführung künftig viel datenorientierter. Werden diese Daten vernünftig ausgewertet, kann sich daraus auch eine Notwendigkeit ergeben, die Marke anzupassen.
Dr. Carsten Baumgarth, Professor für Marketing und Markenführung
an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin)
B2B-Marketer müssen künftig mit immer weniger Budget immer mehr sowie komplexere und neue Aufgaben lösen. Kann das gutgehen?
Komplexer wird es in fast allen Abteilungen. Deshalb wird aber nicht überall mehr Personal eingestellt. Im Marketing gibt es aber Ansatzpunkte, diese Komplexität in den Griff zu bekommen: Marketer müssen sich viel stärker als Moderatoren von Netzwerken verstehen, die intern und extern Spezialisten ausmachen und diese zusammenbringen. Dieses immer noch ausgeprägte Silodenken, der eine macht das und der andere nur das, muss aufgelöst werden. In diese Richtung geht auch der zweite Ansatzpunkt: Das Marketingteam muss viel stärker kompetenzorientiert zusammengesetzt werden. In der Regel kommen die meisten Marketer aus der kreativen Ecke und haben mehr oder weniger ähnliche Qualitäten. Im Team sollte aber beispielsweise auch jemand sein, der Daten versteht und vielleicht auch jemand, der sich mit Nachhaltigkeit und Ethik auskennt. Und der dritte Punkt, der nicht nur die Marketingabteilung betrifft: Wir müssen alle viel mehr lernen, um für die Zukunft gewappnet zu sein. Damit meine ich nicht das eine oder andere problembezogene Seminar im Jahr, sondern dauerhafte, breit angelegte Fortbildung in den Kompetenzfeldern, die sich in der Zukunft auftun werden.