Die Digitalisierung vieler B2B-Unternehmen verlief lange Zeit im Schneckentempo. Erst allmählich erkennen viele Verantwortliche die Notwendigkeit, die digitale Transformation aktiv voranzutreiben. Wie dieser Prozess im B2B-Geschäft gelingen kann, weiß Peter F. Schmid, CEO der Visable GmbH. Unter seiner Verantwortung entwickelte sich das traditionelle Verlagsunternehmen Wer liefert was? mit wlw (ehemals „Wer liefert was“) und europages zum Anbieter der führenden Online-B2B-Plattformen in Europa.
Peter F. Schmid, CEO Visable GmbH
Diesen weitreichenden Change-Prozess beschreibt Schmid in seinem neuen Buch „Mission Wandel: Von einem Old-School-Unternehmen zu einer Tech-Company – die Geschichte einer Transformation“. Darin erzählt er von Erfolgen, Wachstumsschmerzen und den Herausforderungen, die entstehen, wenn Startup-Mentalität auf hanseatische Zurückhaltung trifft.
Herr Schmid, in Ihrem Buch beschreiben Sie die Unternehmenskultur, die bei Ihrem Amtsantritt 2012 bei „Wer liefert was?“ vorherrschte: Siezen statt Duzen, obligatorischer Anzug, klare Hierarchien. Warum passt so eine Struktur und System nicht zu einer modernen Technologie-Firma und wie ist Visable heute strukturiert und organisiert?
Bei meiner Ankunft bestand eine enorme Distanz zwischen den einzelnen Hierarchieebenen. Dem Chef wurde bestätigend zugenickt, die Mitarbeitenden sprachen nur, wenn sie gefragt wurden. Ich glaube daran, dass Fortschritt durch neue Impulse entsteht, und diese können und sollten aus jeder erdenklichen Richtung kommen – vor allem aber auch von denen, die sich tagtäglich intensiv mit den eigenen Produkten auseinandersetzen, völlig unabhängig davon wo sie in irgendeinem Organigramm oder der Unternehmenshierachie stehen. Ich habe das „Du“ eingeführt, weil das im täglichen Austausch Distanz nimmt und wahrgenommene Kluft zwischen Management und Mitarbeitern schließt. Das Ziel ist es, einen freien Austausch von Ideen und Vorschlägen auf Augenhöhe zu ermöglichen, der den Grundstein für neue Projekte und künftige Entwicklungen liefert.
Dieser Change-Prozess hat nicht jedem gefallen, die Fluktuation der Mitarbeiter war hoch. Haben Sie zu der Zeit keine Zweifel gehabt, ob der eingeschlagene Weg der richtige ist?
Natürlich war es nicht angenehm, teilweise langjährige Mitarbeiter zu verlieren. Allerdings hat es mich nicht überrascht. Die notwendigen Veränderungen, um das Unternehmen ins 21. Jahrhundert zu bringen, waren radikal – ich hatte mich insofern darauf vorbereitet, dass sich nicht alle mit dem Kurswechsel würden anfreunden können. Aber nur so konnte und kann Transformation stattfinden. Wir haben damals versucht, das bestehende Know-how mit externer Expertise durch zusätzliche Mitarbeiter zu verbinden. Die neuen Kollegen hatten es dabei aber zu Anfang oftmals nicht leicht und wurden teilweise eher als Gefahr gesehen.
Mein Learning aus der Zeit: Es braucht eine kritische Masse veränderungswilliger Mitarbeiter, egal ob neu oder alt, um den Wandel auf den Weg zu bringen. Dies erreichten wir damals mit dieser Idee. Es gab auch viele alteingesessene Kollegen, die sich nach anfänglicher Skepsis voll und ganz auf den Prozess eingelassen haben und noch heute an Bord sind. Dafür bin ich sehr dankbar.
Ein entscheidender Aspekt der erfolgreichen Transformation war die Internationalisierung des Unternehmens. Warum waren Ihnen die Grenzen der DACH-Region zu eng und welche Hürden galt es auf diesem Weg zu überwinden?
Ich bin mit der Vision angetreten, einen europäischen B2B-Champion aufzubauen. Auf unseren Plattformen sollen alle mittelständischen B2B-Unternehmen in Europa präsent sein, um europages und wlw zur wichtigsten Quelle zur Neukundengewinnung für KMU zu machen. Der Weg dahin ist lang und mit zahlreichen Herausforderungen gespickt. Das fing schon bei ganz banalen Dingen an. Dokumente, Präsentationen und das Company Meeting wurden auf Englisch umgestellt. Ein vermeintlich einfacher Schritt, aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse gingen aber an vielen Stellen Informationen verloren und Missverständnisse entstanden. Heute haben wir das fast überwunden. Unsere Belegschaft ist zunehmend internationaler, spricht über 20 Sprachen. Zudem organisieren wir uns erfolgreich zwischen Standorten in Paris, Hamburg, Berlin und Münster. Und unser Produkt, unsere beiden B2B-Plattformen, werden inzwischen von Einkäufern aus über 200 Ländern besucht.
Was waren – von den bisher angesprochenen Punkten abgesehen – die notwendigsten Schritte, um Visable zukunftsfähig und erfolgreich zu machen?
Ein gewichtiger Faktor für unsere Transformation war insbesondere das Investment in Mitarbeiter und in unsere neuen Technologien. So haben wir beispielsweise mit unserer 100-prozentigen Tochter Visable Labs am Standort Berlin ein Kompetenzzentrum für die Produkt- und Technologieentwicklung ins Leben gerufen, um unser bestehendes Angebot auszubauen. Das ist wichtig, denn das Nutzerverhalten ändert sich. So suchen beispielsweise immer mehr Einkäufer mobil nach neuen Lieferanten – darauf haben wir mit der Entwicklung unserer wlw App reagiert, die seit ihrem Launch im September 2020 schon knapp 10.000-mal heruntergeladen wurde. Auch die neue auf KI-basierende intelligente Volltextsuche auf wlw.de war unsere Antwort auf die Ansprüche der Nutzer, die im B2B-Segment mittlerweile die gleiche Funktionalität und Nutzerfreundlichkeit erwarten wie im Consumer-Bereich. Unser Anspruch bleibt es, Einkäufern auf schnellstem Weg zum passenden Anbieter zu verhelfen – dabei ist die neue Suche von zentraler Bedeutung.
Wie stark ist der deutsche Mittelstand 2021 Ihrer Meinung nach schon digitalisiert? In welchen Bereichen sehen Sie den größten Nachholbedarf?
Da möchte ich ungern generalisieren. Sicher ist jedoch, dass die Corona-Krise die Digitalisierung maßgeblich beschleunigt. Viele kleine und mittelständische Unternehmen haben die Notwendigkeit zur Digitalisierung ihrer Marketing- und Vertriebswege und ihrer Beschaffung spätestens jetzt erkannt. Die tradierten Wege, das eigene Produktangebot zu präsentieren oder neue Lieferanten ausfindig zu machen, sind insbesondere durch den Wegfall der herkömmlichen Messen ausgehebelt. Alternativen finden sich im Internet insbesondere auf Plattformen wie den unseren, was sich im stark gestiegenen Traffic von wlw und europages widerspiegelt. Dieser ist ab Pandemiebeginn exponentiell gewachsen. Ich bin der festen Überzeugung, dass nur KMU, die spätestens jetzt digitalisieren, diese Krise erfolgreich überleben und sogar gestärkt aus ihr hervorgehen werden.
Wie steht es um die Digitalkompetenz auf dem Arbeitsmarkt? Ist das Know-how überhaupt vorhanden, um die Herausforderungen meistern zu können?
Fehlendes Know-how ist weniger das Problem. Oft sind es insbesondere innerbetriebliche Widerstände und finanzielle Erwägungen, die einer erfolgreichen Digitalisierung im Weg stehen. Aber die Corona-Pandemie hat den Druck erhöht. Gleichzeitig steigt aber auch das Verständnis für die digitale Transformation als skalierbarer Prozess – nicht jedes mittelständische Unternehmen braucht beispielsweise eine IoT-Infrastruktur oder muss das eigene Portfolio in Augmented Reality präsentieren. Stattdessen erkennen immer mehr Firmen – insbesondere durch den Wegfall der Leitmessen – dass schon kleine Digitalisierungsschritte, beispielsweise in Richtung Online-Marketing oder beim Sourcing über Online-Plattformen, viel bewirken können.
Haben Sie eine Vision, was in Ihren nächsten zehn Jahren als CEO bei Visable auf Sie und die Firma zukommen wird? Wird der Change-Management-Prozess weitergehen?
Aus meiner Sicht stehen wir trotz aller Erfolge erst am Anfang. Wir werden weiter in unsere Produkte und Technologien investieren. Mit dem umfassenden Relaunch von wlw im vergangenen Jahr, inklusive einer neuen Website, der neuen Volltextsuche sowie der Implementierung unseres Sourcing Services wlw Connect haben wir hier bereits große Schritte unternommen. Wir werden auch in den kommenden Jahren unser Angebot für professionelle Einkäufer erweitern und den veränderten Bedürfnissen Rechnung tragen. Unser mittelfristiges Ziel ist es, die gesamte Kommunikation zwischen Anbieter und Einkäufer über die Plattform sowie über unsere wlw-App abzuwickeln. Im Privaten kennt man das beispielsweise von der Reisebuchung, wo die gesamte Abwicklung von der Flug- und Hotelbuchung hin zur Koordination mit dem Flughafen-Shuttle-Service über die einschlägigen Portale abläuft. Das wird mittelfristig auch bei wlw und europages möglich sein.
Kompliziertes Profilanlegen? Nicht bei uns!